313 Pferdestärken für einen Wallach

  • 313 Pferdestärken für einen Wallach

    Das Auto der Dressurreiterin Isabell Werth muss ihre Pferde zu Turnieren bringen können
    von Wolfgang Golz

    Um ihren Wallach Satchmo zu bewegen, benötigt Isabell Werth ein feines Händchen oder circa 300 Pferdestärken. Als eine der "erfolgreichsten Dressurreiterinnen aller Zeiten", wie das Olympia-Lexikon schreibt, dirigiert sie ihre Pferde bei Piaffe und Pirouette im Parcours. Und mit einem starken Auto fährt sie ihre Vierbeiner zu den großen Turnieren in Europa.


    Keiner komme Isabell Werth mit dem Macho-Witz, der Auto fahrende Frauen verunglimpfen soll: "Na, gnädige Dame? Was fahren Sie denn für ein Auto?" Antwort: "Na, ein rotes."


    Isabell Werth weiß Bescheid über ihr Auto, einen VW Touareg Diesel V 10. Die technischen Daten und Werte kennt sie, jedenfalls weitgehend. Wie viel die Höchstgeschwindigkeit beträgt? "So 230 bis 240 Stundenkilometer, so schnell bin ich selbst schon gefahren." Und wie viel PS hat das Auto? "325, glaube ich." Es sind 313. Die zulässige Anhängerlast beträgt dreieinhalb Tonnen. Zwei Pferde passen also in den Hänger. Für sie ist das Auto ein Arbeitsgerät. "Jedes Pferd wiegt um die 700 Kilo, also fast 1500 Kilo reines Pferdegewicht", sagt sie.


    Isabell Werth ist eine forsche Frau und eine flotte Fahrerin. "Ich fahre sehr viel, 80 000 bis 90 000 Kilometer im Jahr sind gar nichts. Und ich fahre gern schnell." Da rattert das Vorderrad auch schon mal über den Kantstein der Straße. "Bei mir wird der nicht geschont", sagt sie und lacht.


    Der Tourareg sei schon ein mächtiger Mops mit seinen gut 2,5 Tonnen Eigengewicht. Und erst die äußeren Abmessungen: 4,75 Meter lang, 1,98 Meter breit und 1,726 Meter hoch. Isabell Werth gibt zu: "Anfangs habe ich immer den Kopf eingezogen, wenn ich in alte Parkhäuser gefahren bin. Aber ich bin nie hängen geblieben." Die Suche von Parkplätzen gestalte sich bei dem mächtigen Äußeren jedoch mitunter zeitaufwendig. Ehe sie eine enge Lücke ansteure, fahre sie auf der Suche nach Weite doch lieber noch ein paar Mal um den Block.


    Der Opa konnte besser einparken, mit ihm teilte sie auch das erste Auto. Es war ein robuster Mercedes 200 Diesel. Auf Vierbeinern geritten ist sie von Kindesbeinen an. Auf vier Rädern gefahren eigentlich auch. "Wie das so ist im elterlichen Landwirtschaftsbetrieb", sagt sie. "Wenn Not am Mann war, bin ich auch schon früh Trecker gefahren. Das ist eben anders als bei Stadtkindern."


    Ihre erste Autobeule hat sie dann auch Opas altem Mercedes verpasst. Beim Zurücksetzen in die Garage, wo gewisse Steuerkunst schon erforderlich ist. "Da stand was im Weg." Der Schaden war schnell repariert: "Wir hatten den passenden Farbstift griffbereit. Ich habe die Stelle überpinselt." Die Augen von Isabell Werth blitzen spitzbübisch auf: "Erzählt habe ich nichts. Es ist auch niemandem aufgefallen." Oder der Opa hat mit seiner Altersmilde großzügig darüber hinweggesehen.


    Ihre kleine Schandtat hat Isabell Werth ebenso wenig vergessen wie ihren einzigen wirklich schweren Crash. Sie befand sich nachts gegen 22 Uhr in ihrem Nissan Coupé auf dem Rückweg von einem Reitturnier in Amsterdam. Die Straße war nass, Wasser stand in den Spurrillen der Autobahn, Aquaplaning. "Ich bin abgeflogen wie verrückt. Ich dachte nur: Oh! Oh!" Frau Werth hatte dasselbe Glück wie vor ein paar Wochen Ralf Schumacher beim Formel-1-Rennen in Indianapolis. Ihr Auto krachte mit dem Heck in die Leitplanke, "und dann kreiselte es spiralförmig die Begrenzung entlang. Es hätte böse enden können."

    Das Auto hatte Totalschaden, die Fahrerin nur einen kleinen blauen Fleck. Mit Heckantrieb würde sie sich jedenfalls kein Fahrzeug mehr zulegen, sagt sie. Ihr Touareg ist allradgetrieben.


    Isabell Werth ist eine zupackende Frau. Ihren kräftigen Händen sieht man an, dass sie hart arbeiten können. Ihr ausschreitender Gang signalisiert: Die hübsche Frau ist kein verwöhntes Püppchen. Sonst würden ihr die Pferde auch nicht gehorchen. Und ein Radwechsel am Auto? Da lacht sie: "Kein Problem."


    "Sie hat Durchsetzungsvermögen", sagt Mutter Werth. "Sonst hätte sie den Sport und das Studium nicht geschafft. Das waren lange Tage und kurze Nächte." Isabell Werth ist Volljuristin. Doch 2003 übernahm sie den elterlichen Hof in Rheinberg bei Düsseldorf.


    Auf das Gelände von 200 Hektar setzte sie für mehr als zwei Millionen Euro eine moderne Anlage mit Reithalle, Führringen, Boxen und einem Wohnteil.


    Die Eltern dachten: "Das Kind ist verrückt." Aber sie dachte, wenn sie es jetzt nicht wagt, wann dann? Isabell Werth ist 35. Mit sechs Angestellten betreibt sie einen Zuchtbetrieb und die Pferdeausbildung. Und beinahe nebenbei bestreitet sie ihre Turniere. Die Olympiasiegerin betreibt Sport auf höchstem Niveau.


    In dem Wechsel von harter Arbeit, Anspannung und Wettkampfkonzentration, "ist das Auto für mich ein Teil meines Lebensraums. Mal Wohnzimmer, Essraum oder Büro. Und oft eine Oase und ein Rückzugsraum." Wenn sie bei einem Turnier gesiegt hat, ist der Touareg ihre persönliche Music Hall. Dann dreht sie die Lautsprecher auf und hört am liebsten klassische Musik. Entspannen kann sie außerdem, wenn sie mit ihren beiden Nichten spielt.


    "Pferdeerziehung ist wie Kindererziehung", hat Isabell festgestellt. Man müsse ihre Angstreaktionen oder kleinen Frechheiten hinterfragen. Zwar sei man "an schlechten Tagen auch mal ungerecht. Doch das Pferd erzieht einen auch zur Geduld." Das kennt sie aus der Familie. Die Schwester mit ihren zwei kleinen Kindern wohnt nebenan, Isabell Werth selbst ist ledig.


    Ihr bestes Pferd im Stall heißt Satchmo. Der Wallach ist mit zehn Jahren noch ein Halbstarker mit eigenem Kopf und schwankenden Leistungen. Ausgerechnet als es in der Olympia-Qualifikation "darauf ankam, hat er gepatzt", sagt Werth. Deshalb verfolgt sie die Spiele in Athen mit Wehmut. Das Ende der Karriere ist damit aber längst noch nicht beschlossen.


    Artikel erschienen am 22. August 2004


    http://www.wams.de/data/2004/08/22/321883.html